Wenn Schwarz-Weiß-Denken nicht mehr reicht
Nachdem „In the Shadow of the Palms – Iraq” bereits beim Dokufilmfest 2005 in München zu sehen war, bot sich nun dank der Initiative von ARTECHOCK eine erneute Gelegenheit den Dokumentarfilm des australischen Regisseurs und Filmproduzenten Wayne Coles-Janess zu sehen. Der Regisseur war bei der Sonntags-Matinee im Kino Neues Arena anwesend und beantwortete Zuschauerfragen.
Im Herbst 2005 scheinen der Irak-Krieg, die Operation „Shock and Awe“ und die Koalition der Willigen weit entfernt, würde man nicht durch die Wahl der Kanzlerin und ihre pro-amerikanische Haltung oder aber durch al-Qaida Selbstmordattentate wie zuletzt in drei Hotels der jordanischen Hauptstadt Amman oder aber durch immer neue Enthüllungen wie etwa über den Einsatz weißen Phosphors durch die US-Armee in Fallujah hartnäckig daran erinnert, dass dieser Krieg für beendet erklärt, aber noch lange nicht vorbei ist. Das Verdrängen wird durch den Umstand erleichtert, dass die Situation nur immer noch komplexer zu werden scheint und einfaches Position beziehen unmöglich ist.
Wayne Coles-Janess nun hat sich im März 2003, nur wenige Wochen vor Beginn der Invasion der US-Truppen, nach Bagdad begeben um den Alltag der Irakerinnen und Iraker zu dokumentieren. Er trifft auf Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten, lässt sich von Schülerinnen einer Englisch-Klasse und ihrer Lehrerin ein trotziges „we are not afraid“ entgegen schleudern, hört einem Arabisch-Professor beim Philosophieren über Literatur zu und beobachtet einen Trainer, wie er mit seinen jungen Sportlern Ringkampf trainiert. Er spricht mit einem Zeitungsverkäufer ebenso wie mit einem Schuhmacher, besucht Familien zu Hause, lässt sich einladen oder die Essensvorräte für den bevorstehenden Krieg zeigen: Alltagsnormalität und doch auch das Warten auf den großen Knall. Mit Einsetzen der Kampfhandlungen verlässt Coles-Janess den Irak, kehrt aber im November 2003 nach Bagdad zurück und sucht seine Gesprächspartner wieder auf, um zu erfahren, wie sie die Entwicklungen beurteilen und was ihnen widerfahren ist.
Als unabhängiger Dokumentarfilmer, darauf legt er großen Wert und das teilt er uns im Film durch Texteinblendungen mit, hat er seinen Film privat finanziert und keinerlei öffentlichen Gelder oder Fördermittel erhalten. Man kann vermuten, dass er mit diesem Hinweis die Unvoreingenommenheit und „Objektivität“ seiner Haltung betonen möchte. Und angesichts der Blüten, die der „embedded journalism“ in diesem Krieg getrieben hat, ist dieses auch ein ehrenwertes Anliegen. Dennoch irritiert der Film durch eine gewisse Blauäugigkeit. Sein Titel verspricht „den Irak“ zu zeigen, aber die Aufnahmen beschränken sich auf Bagdad und nicht nur das, sondern vielmehr auf die Bewohner eines Stadtviertels, auf Menschen aus al-Adhamiya. Nun mag man auch in einem Stadtteil einer Großstadt ein durchaus typisches Bild zeigen können, das ein ganzes Land repräsentiert, aber al-Adhamiya ist ein besonderes Viertel. Al-Adhamiya ist ein sunnitisches Arbeiterviertel; Schiiten und Kurden wagten sich kaum in diesen Stadtteil, der auch als „Baathiten Ghetto“ beschrieben wird. Ein Großteil der Bevölkerung setzte sich aus Soldaten und Bürokraten des Saddam-Regimes zusammen; im September 2003, nur wenige Monate nach dem Sturz Saddams, kam es in al-Adhamiya zu einer großen Demonstration, die die Rückkehr Saddams forderte (der zu diesem Zeitpunkt noch nicht in seinem Erdlochversteck entdeckt worden war). Kein Wunder, dass dieses Viertel Bagdads auch als Hort des anti-amerikanischen Widerstands gilt. Der Ringkampftrainer erscheint kurz vor Kriegsbeginn in Uniform, im November 2003 kann Coles-Janess nur seine Frau interviewen, die über den Verbleib ihres Mannes wenig zu sagen weiß. Mutmaßlich ist er von den Amerikanern festgenommen worden, da in seinem Auto eine Fernbedienung gefunden worden war. Fernbedienung? Auto? Bagdad? Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.
Im ersten Teil von „In the Shadow of the Palms – Iraq“ waren auch die Propaganda-Clips, mit denen das Saddam-Regime die Iraker bis zuletzt auf den Krieg und den sicheren Sieg über die Invasoren eingeschworen hat, umkommentiert zwischen die Interviews geschnitten, ebenso wie Sequenzen mit dem irakischen Informationsminister Mohammed Said al-Sahhaf, der als „Comical Ali“ und Meister der Dis-Information im Westen einen gewissen Kultstatus erreicht hat.
Nichts ist einzuwenden gegen „andere“ Perspektiven, gegen Sichtweisen, die die herrschende Sicht der Mainstream-Medien und Nachrichtenagenturen ergänzen, konterkarieren und kritisieren. Doch Coles-Janess macht es sich mit seiner anti-amerikanischen Haltung, die im Westen durchaus auf Sympathien stößt, ein wenig zu einfach. Sicher ist es wichtig, die Opfer des Krieges zu zeigen, ihre Geschichten publik zu machen. Bilder der Zerstörung, Bilder aus übervollen irakischen Krankenhäusern und von Rettungsaktionen Verschütteter sind wesentliche Informationen, die zu dem Hurra-Patriotismus, den die eingebetteten Journalisten aus den U.S.-Camps und Panzern lieferten, ein entscheidendes Gegengewicht bilden. Aber Coles-Janess konzentriert sich ausschließlich auf die Stimmen sunnitischer Iraker, lässt die Baathiten zu Wort kommen, nicht aber Regime-Gegner, Gefangene und Opfer des Saddam-Regimes, auch nicht deren Angehörige, die alle gleichermaßen mit den Kriegs- und Besatzungswirkungen zu kämpfen haben und doch den, wenngleich illegalen, wenngleich gewaltsamen Regimewechsel begrüßen dürften.
In der anschließenden Diskussion zeigte der Regisseur eine Naivität, die sich von Arroganz kaum unterscheiden ließ. Dass ein „unabhängiger Dokumentarfilmer“ aus einem Land, das der Koalition der Willigen angehört, und der zudem mangels Sprachkenntnissen auf einen Dolmetscher angewiesen ist, in einem Regime, das für seine Meinungs- und Pressefreiheit nicht gerade berüchtigt war, glaubt, sich völlig frei bewegen zu können und der sein Zusammentreffen mit gesprächsbereiten Interviewpartnern Zufällen und der „unabhängigen“ Kontaktanbahnung durch seinen offiziellen Dolmetscher zuschreibt, lässt sich mit Blauäugigkeit nicht mehr zureichend beschreiben. Da ist einer nicht nur, wie zahllose Human Shields in den Wochen vor Kriegsbeginn, von der Propaganda des Saddam-Regimes für dessen eigene Zwecke benutzt und missbraucht worden, sondern will diese Tatsache auch jetzt noch nicht wahrhaben.
In einem Interview äußert Coles-Janess berechtigte Kritik am US-amerikanischen Vorgehen. “I think the Iraqis see the US as a colonial power and they don’t want to be liberated in that kind of way”, sagt der Filmemacher. Aber das heißt noch lange nicht, dass sich die Iraker das vorherige Regime wieder herbeisehnen, geschweige denn dass alle, die den Abzug der Besatzungsarmee wünschen, den sunnitischen Widerstand unterstützen. Manchmal hilft Schwarz-Weiß-Denken einfach nicht weiter.